Das Fest der Geburt Gottes ist längst vorbei und 50 Tage nach Ostern steht nun Pfingsten vor der Tür, also warum immer noch an Weihnachten denken? Aller frühestens zum Johannistag kommt Weihnachten ganz zaghaft wieder in den Blick, genau 6 Monate vor Heilig Abend. Doch Meister Eckhart würde sagen: Weihnachten ist immer! Ohne Weihnachten kein Ostern und kein Pfingsten und kein Johannistag und überhaupt kein Christentum. Immer, in jedem Augenblick steht der Mensch als Kind Gottes im Mittelpunkt. Die Menschwerdung Gottes ist für Christinnen und Christen rund um den Globus von zentraler Bedeutung und für alle Menschen wohl das schönste Fest. Mit Recht, so Eckhart. Er stellt die Geburt Gottes in den Mittelpunkt seiner Theologie. Die Geburt Gottes als Mensch und im Menschen geschieht immer, in jedem Augenblick, sagt Eckhart. Es ist das Gebären, Gottes aus sich Herausgehen, sein Wirken im Menschen und in der Welt, dass die Wirklichkeit schafft und erhält. Das permanente Schaffen und Wirken Gottes lässt die Welt leben. Das Wunder des Lebens, seine heilige Dimension wir in jedem Menschen offenbar. Gott wohnt jedem Atemzug, in jeder Lebensäußerung der Kreaturen und jeder Existenz von Dingen in der Welt inne. Wenn der Mensch bei sich im Herzen für Gottes Wirken und Gebären keinen Platz lässt, dann gibt es Krieg. So war es auch bei den Kreuzzügen, wo Jesus von den Kreuzrittern nur äußerlich auf Fahnen und Emblemen vorangetragen wurde. Selbst an Jesu Zuwendung zu Ausländern und Andersgläubigen dachte da niemand.
Durch die Pandemie hat sich unsere Lebensweise verändert. Hygieneregeln spielen jetzt eine viel größere Rolle und müssen letztlich auch wegen Covid-19 weiter beachtet werden. Die Hoffnung ist groß, dass sich die Lage nicht im Herbst wieder zuspitzt. Andererseits hat sich Homeoffice bewährt und wird oft beibehalten. Lesen und Bewegung an frischer Luft werden wieder mehr geschätzt. Viele sind gerade jetzt im Sommer z.B. auch auf dem Nessetal Radweg oder dem Eifel Pilger Radweg unterwegs, Buchhandlungen und Fahrradgeschäfte machen gute Umsätze. Die Gottesdienste haben wieder mehr Gewicht, sind irgendwie intensiver, sehnsuchtsvoller; strahlen mehr Ruhe und Kraft aus. Offenheit und Staunen sind dabei, wo sonst oftmals Gleichgültigkeit herrschte. Die Melodien und Texte der Lieder werden beim Singen bewußter wahrgenommen und das Beten ist ehrlicher.
Weihnachten ist die Geburt des neuen Lebens in Gott. Der Mensch ist zusammen mit der ganzen Schöpfung dazu berufen, in die Ganzheit der Liebe und die Gemeinschaft mit Gott zurückzukehren. Das neue Leben beginnt mit einem neuen zur-Welt-kommen, und gleichzeitig einem Zurückgebähren in Gottes Liebe. Mit der Geburt des Gotteskindes wird auch die Gotteskindschaft aller Menschen als Schwestern und Brüder Jesu offenbar. Das Leben wird geheiligt. Nach Eckhart muss der Versuch des Menschen, Gottes Willen aus eigener Kraft zu erfüllen, um damit Gnade und Frieden für sich zu erlangen, scheitern. Vielmehr geht es um den Rückzug des Menschen aus seiner individuellen Identität und Zweckorientierung in reines kindliches Unwissen und Urvertrauen, wo er Gott in seiner Seele Platz macht und er in ihn eingeht. Ausgehend von der „Unheimlichkeit“ – wörtlich „nicht zu Hause sein“, ist es Eckharts Bestreben, zu zeigen, das der Mensch wieder zu einer Verbindung und zur Vereinigung im Sinne von „Ver-heim-lichung“ bei Gott gelangen kann. Denn der Mensch ist von Gott, er ist heilig. Alles, was den Menschen umgibt, das Leben selbst zusammen mit der ganzen Schöpfung ist heilig. Der Lambarene-Arzt und Theologe Albert Schweitzer sprach von der „Ehrfurcht vor dem Leben“ als Antrieb und Überschrift für seine Arbeit. Gott wirkt und ist selbst das Leben, das sich ständig erneuert und im Fluss ist. Das Gott in allem wirkt und schafft und damit allem erst Sinn gibt, drücken in anderer Weise die von unbekannter Hand geschriebenen Worte auf dem Nessetalradweg und Meister-Eckhart-RadPilgerweg in der Nähe des alten Goldbacher Bahnhofs aus: „Alles ist Kunst“! So sagt es der bedeutende zeitgenössische Künstler Joseph Beuys 700 Jahre nach Eckhart. Und an anderer Stelle betont Beuys: „… jeder Mensch ist ein Künstler“. Die weiße Farbe der Schrift auf dem Asphalt verblasst seit einiger Zeit, sie muss dringend wieder aufgefrischt werden!